Als ich mit 16 Jahren meine erste große Liebe erlebte, ahnte ich nicht, dass die 400 Kilometer zwischen uns nicht die einzige Distanz waren, die unsere Beziehung zu einer toxischen machen würde.

Im Gegensatz zu meinen Freundinnen war ich ein echter Spätzünder was das Thema Jungs anging.
Meinen ersten Kuss bekam ich mit 15, danach war ein Jahr lang Funkstille. Mein Interesse galt genau zwei Dingen: Pferde und Musik. Ich hatte nie Lust auf dieses ganze Drama, welches meine Freundinnen mit dem männlichen Geschlecht erlebten und ich mir permanent ihre Geschichten anhören musste.
Ich war glücklich und zufrieden wenn ich am Stall war und meine Zeit mit den anmutigsten, elegantesten und zugleich so kraftvollen Tieren verbringen konnte. Reiten war mein ein und alles.
Morgens Schule, Mittags Hausaufgaben machen, danach zum Stall und abends mit der ganzen Clique an unserem Treffpunkt abhängen. Mehr brauchte ich nicht.
Schon mit 14 Jahren entdeckte ich die Rockmusik für mich. Damals (1994) stand ich total auf Bon Jovi. Aber nicht lange. Schnell entdeckte ich die Grunge Heros Nirvana um ihren charismatischen Frontmann Kurt Cobain für mich. Leider nahm Cobain sich kurz nach meinem Entdecken der Band das Leben mittels eines Kopfschuss und für mich stand erstmal die Welt Kopf.
Gefühle wie Trauer, Wut, Bewunderung, Melancholie schlichen sich ein. Nur die Pferde und meine Freunde brachten mich wieder zum lächeln.
Ich fing an mir die Musikzeitschrift "Metal Hammer" zu kaufen. Ja, damals hat man noch Print Medien gelesen.... :-)
In dieser Zeitschrift gab es die Rubrik Kleinanzeigen. Hier waren auch immer jede Menge Anzeigen von Rockmusik Fans, die Gleichgesinnte für Brieffreundschaften suchten.
Heute kaum vorstellbar, aber damals hatten wir keine Handys, mit denen man sich schnell mal eben eine Nachricht schicken konnte. Wir mussten uns Briefe schreiben. Per Hand. Und dabei waren wir sehr kreativ. Von kleinen Zeichnungen zwischen den Texten über Sticker über das Aufkleben von Glitzer. Das waren unsere Emojis.
Und über diese Kleinanzeigen fand ich nicht nur meine Brieffreundin Chrissi, mit der ich jahrelang Kontakt hatte. Nein, auch ein sehr interessanter junger Mann namens Thomas hatte es mir angetan. Seine Kleinanzeige war kreativ und ansprechend. Also schrieb ich ihm kurzerhand.
Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wow.... 4 Seiten handgeschriebener Text in einer so schönen Schrift. Ich war schon nach dem ersten Brief hin und weg. Thomas erschien mir super kreativ, lieb, aufmerksam und sensibel.
Dazu war er Sänger und Gitarrist einer Band.
Nur leider trennten wir uns rund 400 km. Aber egal. Ich freute mich auf jeden Brief und auch meine wurden immer kreativer und gefühlsbetonter.
Natürlich kam schon relativ zügig bei uns beiden der Wunsch nach einem persönlichen Kennenlernen auf. Ich fuhr mit meinem Rad zum nächsten Bahnhof im Nachbarort und ließ mir die Bahnverbindungen zu Thomas Wohnort ausdrucken. Waaaaaaaaas?? 12 Stunden Zugfahrt?! Oh nein....
Unauffällig fragte ich meinen Vater, wie lange man denn wohl ungefähr mit dem Auto bis nach Stuttgart fährt. 4 Stunden war die Antwort. Also 12 Stunden Bimmelbahn gegen 4 Stunden Autofahrt.
Musste ich jetzt ernsthaft meine Eltern fragen, ob sie mich 4 Stunden bis zu meinem "Brieffreund" bringen?! Wie peinlich!
Aber die Sehnsucht nach diesem tollen Kerl ließ mich die Peinlichkeit überwinden und ich fragte meine Eltern. Zu meiner Überraschung sagte mein Vater zu.
3 Wochen und 4 Briefe später war es soweit. Ich fuhr mit meinem Vater 4 Stunden Richtung Stuttgart. Dort angekommen, empfing uns Thomas schon in der Haustüre. Oh mein Gott.... Ich war so aufgeregt. Und wie sollte ich mich jetzt verhalten, wo mein Vater neben mir stand? Wie unangenehm... Ich umarmte Thomas kurz und schon erschienen seine Eltern in der Haustür und baten uns herein.
Hier saßen wir also nun. Thomas, seine Eltern, mein Vater und ich. Ging es vielleicht noch unangenehmer?! Eigentlich nicht.
Mein Vater trank einen Kaffee und aß ein Stück selbst gebackenen Kuchen und verabschiedete sich ein Glück zügig.
Ehrlich gesagt weiß ich heute gar nicht mehr, wie lange ich bei Thomas blieb. Ich glaube, es waren 7 Tage.
In diesen 7 Tagen schwebte ich einfach nur auf Wolke 7. Hatte die rosarote Brille auf. Zum ersten Mal in meinem Leben.
Thomas nahm mich mit zu seiner Bandprobe, wo er mich als seine Freundin vorstellte. Haaappyyyyyyyyy! :-)
Einmal fuhren wir nach Stuttgart in die Stadt zum Bummeln. Einmal begleitete ich ihn bei einem Termin.
Die restliche Zeit verbrachten wir mit Spaziergängen in der Natur und ganz viel kuscheln.
Und was soll ich sagen?! Es kam am vorletzten Tag zu meinem berühmten "1. Mal".
Es war lange nicht so schön und spektakulär wie ich es mir vorgestellt hatte. Ja, es war schön. Und Thomas war sehr bemüht, dass es mir auch gefällt. Er hat eine Kuschelrock CD aufgelegt . Aber ich war so verkrampft, dass ich es nicht genießen konnte.
Aber naja. Ich war einfach nur verknallt.
An Tag 7 fuhren Thomas und sein Vater mich ca. 100 km in Richtung meiner Heimat, wo mein Vater an einem Rastplatz auf uns wartete. Die restliche Strecke fuhr ich dann mit meinem Vater nach Hause. Ich war mehr als traurig, dass unsere gemeinsame Zeit schon vorüber war.
Noch im Auto beschloss ich, dass ich Thomas unbedingt wiedersehen muss.
Unsere nächsten Briefe handelten von nichts anderem als von gemeinsamen Überlegungen wie wir es anstellen, dass wir uns wiedersehen können.
Aber dieses Mal war Thomas am Zug. Ein paar Wochen später brachte sein Vater ihn zu mir. Gleiches Szenario: vor den Eltern knutschen geht gar nicht. Also nur flüchtige Umarmung. Kaffee und Kuchen mit meinen Eltern und Thomas Vater. Unangenehm!
Aber auch Thomas Vater verabschiedete sich verhältnismäßig schnell um seinen Heimweg anzutreten.
Total glücklich und weiterhin schwer verliebt nahm ich Thomas natürlich noch am selben Abend mit zu unserem Cliquen Treffpunkt. Hier wurde ich zum ersten Mal skeptisch was Thomas und sein Umgang mit Menschen angeht.
Er eckte mit fast allen meiner Freunde an. Quatschte seltsames Zeug und es dauerte nicht lange bis meine besten Freunde mich zur Seite nahmen um mir mitzuteilen, dass er doch ein ganz schön komischer Typ ist.
So richtig hören wollte ich das natürlich nicht.
Als wir aber 2 Tage später einen Ausflug mit meinen beiden besten Freundinnen und deren Freunde machten, habe ich mich zum ersten Mal im Leben für jemanden geschämt. Er hat wirklich unmöglich blödes Zeug gequatscht und die Kerle meiner besten Freundinnen machten sich ganz offen über ihn lustig.
Ok... Mit meinen Freunden klappt es wohl nicht. Aber mit meinen naiven 16 Jahren dachte ich: dann halt eben ohne sie.
Die letzten beiden Tage verbrachten Thomas und ich alleine. Mit ganz ganz viel Sex. Ich hatte nun Gefallen daran gefunden. Sehr sogar. Warum auch nicht?!
Und schon war der Tag des Abschieds wieder gekommen. Thomas wurde von seinem Vater abgeholt.
Aber dieses Mal war ich gar nicht so traurig wie beim letzten Mal. Eher etwas erleichtert, dass er weg war.
In den folgenden Tagen dachte ich darüber nach, ob diese Fernbeziehung in unserem Alter überhaupt eine Zukunft haben kann.
Thomas dachte offensichtlich über das Gleiche nach und bat mich nach einer Woche um ein Gespräch. Hier beschlossen wir einvernehmlich wieder getrennte Wege zu gehen. Und das war völlig ok für mich.
Meinen Eltern und meinen Freunden fiel ganz offensichtlich ein Stein vom Herzen.
Was an Thomas toxisch war, erfahrt ihr später. Denn das erfuhr ich erst Jahre später.

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